Die Mühen der Freiheit - Probleme und Chancen der Partizipation von Kindern und Jugendlichen

von: Fritz Oser, Carsten Quesel

Verlag Rüegger, 2007

ISBN: 9783725308347 , 232 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 30,70 EUR

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Die Mühen der Freiheit - Probleme und Chancen der Partizipation von Kindern und Jugendlichen


 

Partizipation und Identität. Junge Menschen zwischen Gefügigkeit und Mitverantwortung (S. 95) Horst Biedermann und Fritz Oser
Partizipation – mythische Wirkungserwartungen
Der Begriff Partizipation ist in den letzten Jahren zu einer Modeerscheinung avanciert. Wo immer Menschen zueinander finden um gemeinsame Ziele zu verfolgen, wird der Ruf nach partizipativen Führungsstilen und Umgangsformen laut. In den Worten von Bukow (2000: 171) ausgedrückt: „Partizipation ist in aller Mund". Arm in Arm mit dieser zunehmenden Gewichtung gemeinschaftlicher Entscheidungsprozesse wuchs auch die Wirkungserwartung partizipativen Erfahrungslernens stark an, so dass der Partizipation heute fast eine Art Mythos anhaftet. Von ihr wird die positive Beeinflussung einer Vielzahl verschiedenster signifikanter Verhaltens- und Einstellungsänderungen erwartet (vgl. den Beitrag von Oser / Biedermann in Teil I dieses Bandes).

Gerade im Bereich des sozialen Lernens und der politischen Bildung wird partizipativem Erfahrungslernen wirkungsvolles Anregungspotential bzw. grosse Leistungsfähigkeit zugeschrieben. Diese Zuschreibungen beruhen auf der Annahme, dass junge Menschen im interessenvereinten Gruppenerleben nicht nur die Dynamik gemeinschaftlichen Handelns erfahren, sondern zugleich Zutrauen in ihre eigene Schaffenskraft aufbauen können (vgl. von Alemann 19782: 25ff., Kohl 1999: 2, Manke 1980: 166ff., Oser / Biedermann / Ullrich 2001: 6, Tiemann 1998: 341).

In Anlehnung an diesen Wirkungsglauben wurden gerade im Bereich der politischen Bildung vielfältige Projekte und Modelle initiiert, anhand welcher Kinder und Jugendliche in partizipativer Handlungsform an das Feld des Politischen herangeführt werden sollen (z.B. Kinder- und Jugendparlamente, Jugendforen, Jugendstammtische, temporäre Projekte wie Spielplatzgestaltung oder Quartierfeste, Schulparlamente, Schülerinnen- und Schülervertretungen, vgl. z.B. Amreither 2000). Die all diesen Ausarbeitungen zugrunde liegende Intention besteht darin, dass durch das partizipative Erfahrungslernen bei den jungen Menschen Verhaltens- und Einstellungsmuster so aufgebaut oder angepasst werden, dass sie politische Mündigkeit erlangen.

Versucht man diese durchwegs positive Konnotation des Partizipationsbegriffs genauer zu ergründen, so können die frühen Arbeiten von Lewin und seinen Mitarbeitenden (1939, 1943, 1951) als zentrale Ausgangspunkte betrachtet werden. Die Forschungsgruppe konnte aufzeigen, dass einerseits demokratische Gruppenprozesse prosoziales Verhalten von Kindern eher fördern, autoritäre oder strukturlose es eher behindern, sowie dass andererseits Personen, die in Gruppen mitentscheiden konnten, eher willig waren, ihre Eigenschaften und ihr Verhalten zu ändern als solche, die keine Mitentscheidungsmöglichkeiten besassen.

Ausgehend von diesen Erkenntnissen entwickelten sich in der Folgezeit unterschiedliche fachspezifische Forschungsschwerpunkte, welche sich der Thematik möglicher Wirkungsmechanismen partizipativen Erfahrens und/oder Lernens angenommen haben. Aus dem pädagogisch-psychologischen Forschungsfeld entstammende Untersuchungen zu interaktiven Aushandlungsprozessen bei Kindern und Jugendlichen („Ko-Konstruktion" nach Youniss, z.B. 1994) zeigen dabei auf, dass vertrauensvolle Beziehungen, aktive Teilnahme an Interaktionen und der Umsetzung von dabei getroffenen Beschlüssen, ein durch Reflexion und stichhaltige Begründungen gekennzeichneter Diskurs sowie eine Toleranz für Mehrdeutigkeit eine Grundvoraussetzung für die Ausbildung sozialer, moralischer und kognitiver Handlungsfähigkeiten sind (vgl. z.B. Krappmann 2000, Oser 1998).

Studien aus dem Bereich der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften erhellen, dass zwischenmenschliche Beziehungen wesentliche Impulse für Produktivität und Arbeitsmoral geben (Human-Relations-Ansatz), sowie dass der Mensch durch ein Gefühl von Zugehörigkeit, Anerkennung und sein Beitragen zum Erreichen von Zielen mehr Initiative, Verantwortung und Kreativität entwickelt (Human-Ressources-Ansatz, vgl. Grandke 1998).