Angewandte Entwicklungspsychologie (Enzyklopädie der Psychologie : Themenbereich C : Ser. 5 Bd. 7)

von: Franz Petermann, Wolfgang Schneider (Hrsg.)

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2008

ISBN: 9783840905896 , 1045 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 158,99 EUR

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Angewandte Entwicklungspsychologie (Enzyklopädie der Psychologie : Themenbereich C : Ser. 5 Bd. 7)


 

8. Kapitel Früherkennung und Prävention von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (S. 237-238)

Wolfgang Schneider und Peter Marx

1 Grundlagen

1.1 Begriffsklärung

Seit einem knappen Jahrhundert werden Lese-Rechtschreibschwierigkeiten im deutschen Sprachraum meist unter dem Begriff „Legasthenie" thematisiert (vgl. Hasselhorn, Schneider & H. Marx, 2000). In der deutschsprachigen kinderund jugendpsychiatrischen Forschung wird zusätzlich gerne die Bezeichnung „Lese-Rechtschreib-Störung" verwendet, während sich im angloamerikanischen Raum bevorzugt Konzepte wie „dyslexia" oder „reading disorders" finden. Die Konzepte sind dadurch geprägt, dass eine Diskrepanz zwischen einer normalen bis überdurchschnittlichen Intelligenz und einer weit unterdurchschnittlichen Lese-Rechtschreibleistung als zentrales Kriterium gefordert wird. Diese Diskrepanz wird als Indikator einer Teilleistungsschwäche angesehen, die sich nur im Lese-Rechtschreibbereich äußert (vgl. Schneider, 1997, Warnke, 1992).

Von Legasthenikern werden dann Kinder mit allgemeiner Lese-Rechtschreibschwäche abgegrenzt, bei denen eine defizitäre intellektuelleGrundausstattung oder schlechte Lernbedingungen für die Probleme im Schriftspracherwerb verantwortlich gemacht werden. Für diese Kinder wird auch in anderen Fächern mit schwachen Leistungen gerechnet. Bei Legasthenikern erwartet man dagegen, dass sie in der Regel in allen anderen Schulfächern gute bis sehr gute Leistungen erbringen, der Leistungsausfall sollte sich speziell beim Lesen- und Schreibenlernen zeigen (vgl. etwa Remschmidt, 1987). Weiterhin basiert die Diskrepanzdefinition auf der Annahme, dass die Lese-Rechtschreibschwierigkeiten beim Vorliegen einer Diskrepanz eine andere Ätiologie und einen anderen Verlauf aufweisen sowie anderer therapeutischer Maßnahmen bedürfen als bei fehlender Diskrepanz. Die Bedeutung der Diskrepanz für die Identifikation einer spezifischen Störung muss jedoch bezweifelt werden.

Die in den 70er Jahren einsetzende Kritik am Konzept der Legasthenie stellte insbesondere seine methodische Verankerung in Frage (insbesondere Schlee, 1976). Gravierende methodische Probleme des Forschungsansatzes wurden insbesondere darin gesehen, dass der korrelative Zusammenhang zwischen Lese- Rechtschreibleistungen einerseits und der (sprachlichen) Intelligenz andererseits mit Werten von durchschnittlich r = .40 bis .50 in der Regel keineswegs eng ausfällt. Bei Korrelationen dieser Größenordnung ist es nicht unbedingt erwartungswidrig (wie von den Legasthenieforschern postuliert), sondern durchaus normal, dass Kinder mit durchschnittlicher bis überdurchschnittlicher Intelligenz Rückstände im Lesen und/oder Rechtschreiben aufweisen können.

Im angloamerikanischen Raum konzentrierte sich die in den 80er Jahren einsetzende Kritik vor allem auf die fehlenden empirischen Belege hinsichtlich der Annahme, dass die Diskrepanz den entscheidenden Indikator für das Vorliegen einer spezifischen Störung darstellt (vgl. Stanovich, 1994). Auch in Untersuchungen aus dem deutschen Sprachraum unterschieden sich Kinder mit diskrepanten und nicht-diskrepanten Lese-Rechtschreibschwierigkeiten in problemrelevanten kognitiven Bereichen nicht deutlich voneinander (P. Marx, Weber & Schneider, 2001) und waren auch nicht unterschiedlich gut therapierbar (Weber, P. Marx & Schneider, 2002).

Weiterhin trifft auch die „Umschriebenheit" der Störung im Sinne einer Teilleistungsschwäche wohl nicht in der oben angedeuteten Absolutheit zu, da Probleme im Schriftsprachbereich schon zu Beginn der Grundschulzeit auch Auswirkungen auf das Verständnis mathematischer Probleme zu haben scheinen (Schwenck & Schneider, 2003). Wir werden daher im Folgenden den neutraleren Begriff der „Lese-Rechtschreibschwierigkeiten" verwenden und damit indizieren, dass er auf alle Schülerinnen und Schüler angewendet werden soll, die im Verlauf ihrer Schulzeit Probleme beim Erwerb des Lesens und Schreibens entwickeln.