Wege der Liebe - Roman

von: Nora Roberts

Heyne, 2015

ISBN: 9783641139353 , 416 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Wege der Liebe - Roman


 

 

1

Sommer 1276

An einem strahlenden Tag gegen Ende des Sommers sammelte Bran­naugh Kräuter, Blumen, Blätter für Salben, Elixiere und Tees. Nachbarn und Reisende kamen in der Hoffnung auf Heilung zu ihr, der Dunklen Hexe, wie sie einst zu ihrer Mutter gekommen waren, mit Schmerzen an Leib, Herz und Seele, und zahlten mit Münzen, Diensten oder Waren.

So hatten sie und ihre Geschwister sich ein neues Leben in Clare aufgebaut, fern von ihrem Zuhause in Mayo. Fern von der Hütte im Wald, wo sie gelebt hatten und wo ihre Mutter gestorben war.

Sie waren zufriedener und fröhlicher, als Bran­naugh es für möglich gehalten hatte nach jenem schrecklichen Tag, an dem ihre Mutter ihnen bis auf einen kleinen Rest ihre ganze Macht gegeben und sie fortgeschickt hatte, damit sie in Sicherheit waren, während sie selbst sich opferte.

Voller Kummer, dachte sie, voller Gehorsam und Furcht hatte sie getan, was von ihr verlangt worden war, hatte ihren jüngeren Bruder und die kleine Schwester von zu Hause fortgeführt.

Sie hatten die Liebe, die Kindheit und ihre Unschuld zurückgelassen.

Viele Jahre war das nun her. Die ersten davon hatten sie auf Geheiß ihrer Mutter bei ihrer Verwandten und deren Mann verbracht – sicher, umsorgt, willkommen. Doch dann war die Zeit gekommen, dieses Nest zu verlassen und das anzunehmen, was sie waren und immer sein würden …

Die drei Dunklen Hexen.

Ihre Pflicht, ihre Bestimmung vor allem anderen. Cabhan auszulöschen, den finsteren Zauberer, der ihren Vater umgebracht hatte, Daithi den Tapferen, und ihre Mutter, Sorcha. Cabhan, dem es irgendwie gelungen war, den Fluch zu überleben, mit dem Sorcha ihn belegt hatte.

An einem strahlenden Spätsommertag wie diesem schien das alles weit weg zu sein – die Schrecken jenes letzten Winters, Blut und Tod jenes letzten Frühlings.

Hier in der Heimat, die sie sich geschaffen hatten, duftete es nach dem Rosmarin in ihrem Korb, nach den Rosen, die ihr Mann zur Geburt ihres ersten Kindes gepflanzt hatte. Die Wolken bauschten sich wie kleine Schäfchen auf der blauen Himmelsweide, und der Wald, die kleinen Felder, die sie angelegt hatten, leuchteten grün wie Smaragde.

Bran­naughs Sohn, noch keine drei Jahre alt, saß auf einem sonnigen Fleck und schlug auf die kleine Trommel, die sein Vater ihm gebaut hatte. Er sang und johlte und trommelte voll fröhlicher Unschuld, sodass ihre Augen vor Liebe brannten.

Ihre Tochter, kaum ein Jahr alt, schlief mit ihrer liebsten Flickenpuppe im Arm, bewacht von Kathel, dem treuen Hund der Familie.

Und ein weiterer Sohn strampelte und trat sie in ihrem Leib.

Von dort, wo sie stand, konnte sie die Lichtung sehen und die kleine Hütte, die sie, Eamon und Teagan vor beinahe acht Jahren gebaut hatten. Kinder, dachte sie, die ihre Kindheit nicht hatten genießen können.

Die Geschwister lebten immer noch ganz in der Nähe. Der treue Eamon, stark und wahrhaftig. Und Teagan, so freundlich und heiter. Sie waren glücklich, dachte Bran­naugh, und Teagan war sehr verliebt in den Mann, den sie im Frühjahr geheiratet hatte.

Alles war friedlich, trotz Brins Trommeln und Johlen. Die Hütte, die Bäume, die grünen, mit Schafen gepunkteten Hügel, der Garten, der strahlend blaue Himmel.

All das musste zu Ende gehen, und zwar bald schon.

Die Zeit nahte – sie spürte es so deutlich wie die Tritte ihres Babys in ihrem Bauch.

Die strahlenden Tage würden dem Dunkel weichen. Der Frieden würde in Blut und Kampf enden.

Sie fasste an das Amulett mit dem Abbild eines Hundes. Ihr Schutz, den ihre Mutter mit Blutmagie beschworen hatte. Bald, dachte sie, würde sie diesen Schutz wieder brauchen.

Sie legte eine Hand an den Rücken, wo es ein wenig schmerzte, und erblickte im selben Moment ihren Mann, der nach Hause geritten kam. Der schöne Eoghan, mit dem sie so verbunden war. Augen grün wie die Hügel, rabenschwarzes Haar, das sich bis auf seine Schultern ringelte. Er ritt aufrecht und mühelos auf der stämmigen kastanienbraunen Stute, und seine Stimme erhob sich wie so oft zu einem Lied.

Der Anblick entlockte ihr ein Lächeln, und ihr Herz wurde leicht wie ein Vogel, der sich in die Lüfte schwang. Sie, die so sicher gewesen war, dass es für sie keine Liebe geben konnte, keine Familie außer den Blutsverwandten, kein Leben jenseits ihrer Bestimmung, hatte sich rettungslos in Eoghan aus Clare verliebt.

Brin sprang auf und rannte los, so schnell ihn seine kleinen Beinchen trugen. Dabei rief er wieder und wieder: »Da, Da, Da!«

Eoghan beugte sich herab und hob den Jungen in den Sattel. Das gemeinsame Lachen von Mann und Kind flog zu ihr her­über. Wieder brannten ihr die Augen. In diesem Moment hätte sie ihre ganze Macht gegeben, jeden Tropfen davon, um ihnen zu ersparen, was da kommen würde.

Die Kleine, der sie den Namen ihrer Mutter gegeben hatte, quengelte, und Kathel regte seine alten Knochen, um ein leises Wuff von sich zu geben.

»Ich höre sie.« Bran­naugh stellte den Korb ab und ging zu ihrer erwachenden Tochter, nahm sie auf den Arm, herzte und küsste sie zärtlich, während Eoghan neben sie ritt.

»Schau mal, was ich auf der Straße gefunden habe. Einen kleinen Streuner.«

»Ich finde, den sollten wir behalten. Vielleicht sieht er ganz nett aus, wenn man ihn sauber macht, dann können wir ihn auf dem Markt verkaufen.«

»Er könnte uns ein hübsches Sümmchen einbringen.« Eoghan küsste seinen kichernden Sohn aufs Haar. »Runter mit dir, ­Junge.«

»Reiten, Da!« Brin wandte den Kopf und sah Eoghan aus großen, dunklen Augen bettelnd an. »Bitte! Reiten!«

»Aber nur ganz kurz, dann will ich meinen Tee.« Eoghan zwinkerte Bran­naugh zu, bevor er im Galopp davonsprengte, sodass der Junge aufjauchzte.

Bran­naugh griff wieder zu ihrem Korb und schob sich die kleine Sorcha auf die Hüfte. »Komm, alter Freund«, sagte sie zu Kathel. »Es ist Zeit für dein Stärkungsmittel.«

Sie ging zu dem hübschen Häuschen hinüber, das Eoghan mit seinen geschickten, starken Händen gebaut hatte. Drinnen schürte sie das Feuer, setzte ihre Tochter hin und bereitete den Kräutertee vor.

Während sie Kathel streichelte, massierte sie ihn zugleich mit dem Tonikum, das sie für ihn gemischt hatte, damit er gesund und scharfsichtig blieb. Ihr Schutztier, ihr Herz, dachte sie. Ein paar Jahre lang würde sie sein Leben noch strecken können. Sie würde es wissen, wenn die Zeit kam, ihn gehen zu lassen. Aber noch war es nicht so weit.

Sie stellte Honigkuchen und Marmelade auf den Tisch und hatte den Tee fertig, als Eoghan und Brin Hand in Hand hereinkamen.

»Mhm, das ist gut.«

Eoghan strubbelte Brin über den Kopf, beugte sich zu Bran­naugh hinab und küsste sie. Das dehnte er ein wenig aus, wie immer.

»Du bist früh zu Hause«, begann sie, als ihr Mutterblick sah, wie Brin nach dem Honigkuchen griff. »Wasch dir erst die Hände, mein Junge, und dann setzt du dich wie ein feiner Herr zu deinem Tee.«

»Sie sind gar nicht dreckig, Ma.« Brin streckte die Hände aus.

Bran­naugh zog nur die Augenbrauen hoch, als sie die schmut­zigen kleinen Finger sah. »Waschen. Ihr beide.«

»Mit Frauen kann man nicht diskutieren«, erklärte Eoghan seinem Sohn. »Das wirst du noch lernen. Ich habe den Schuppen für die Witwe O’Brian fertiggebaut. Bei Gott, ihr Junge ist wirklich nutzlos wie Zitzen an einem Geißbock, er hat sich einfach verdrückt. Aber ohne ihn ging es schneller voran.«

Eoghan berichtete von der Arbeit, während er seinem Sohn half, sich die Hände abzutrocknen, und als er kurz darauf seine Tochter in die Luft schwang, sodass sie vor Freude quiekte, erzählte er, was er demnächst tun würde.

»Du bist die Freude in diesem Haus«, murmelte Bran­naugh. »Du bist sein Licht.«

Er sah sie ruhig an und setzte die Kleine ab. »Und du bist sein Herz. Setz dich, ruh deine Füße ein wenig aus. Trink deinen Tee.«

Er wartete. Oh, sie wusste, dass er eine Engelsgeduld hatte. Oder den größten Dickschädel – was allerdings oft auf dasselbe herauskam, zumindest bei einem Mann wie Eoghan.

Als die Hausarbeit getan, das Abendessen vorüber war und die Kinder im Bett lagen, nahm er ihre Hand. »Gehst du ein Stück mit mir, holde Bran­naugh, es ist so ein schöner Abend?«

Wie oft hatte er diese Worte zu ihr gesagt, als er noch um sie warb – als sie noch versuchte, ihn zu verscheuchen wie eine Mücke …

Jetzt holte sie ihr Umschlagtuch – ein Lieblingsstück, das Teagan ihr gemacht hatte – und legte es sich um die Schultern. Sie warf einen Blick zu Kathel hinüber, der am Feuer lag.

Pass für mich auf die Kinder auf, trug sie ihm auf und ließ sich von Eoghan in den kühlen, feuchten Abend hinausziehen.

»Es gibt Regen«, sagte sie. »Noch vor dem Morgen.«

»Dann haben wir ja Glück, dass wir diesen Abend haben.« Eoghan legte ihr eine Hand auf den Bauch. »Alles gut?«

»O ja. Der junge Mann ist sehr lebhaft, immer in Bewegung. Ganz wie sein Vater.«

»Wir stehen gut da, Bran­naugh. Wir könnten uns eine Hilfe leisten.«

Bran­naugh warf ihm einen Seitenblick zu. »Hast du etwas auszusetzen? Am Zustand des Hauses, der Kinder, am Essen, das auf den Tisch kommt?«

»Überhaupt nicht, in keiner Weise. Aber ich habe gesehen, wie meine Mutter sich kaputt geschuftet hat.« Während Eoghan sprach, massierte er ihren Rücken, als wüsste er von dem...