Agrarideologie und Sozialreform im Deutschen Kaiserreich - Heinrich Sohnrey und der Deutsche Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege 1896-1914

von: Georg Stöcker

Vandenhoeck & Ruprecht Unipress, 2011

ISBN: 9783862346738 , 276 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 65,00 EUR

Mehr zum Inhalt

Agrarideologie und Sozialreform im Deutschen Kaiserreich - Heinrich Sohnrey und der Deutsche Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege 1896-1914


 

E Schlussbetrachtung (S. 245-246)

Die Studie bestätigt die eingangs formulierte These, dass der ›Deutsche Verein für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege‹ seine Entstehung drei Entwicklungslinien verdankt: erstens agrarromantischen Vorstellungen, zweitens den Ergebnissen der bürgerlichen Sozialreform, insbesondere denjenigen des ›Vereins für Sozialpolitik‹, und drittens der preußischen Bürokratie.

Treibende Kraft war zunächst der niedersächsische Schriftsteller Heinrich Sohnrey, der, angesichts des Übergangs der deutschen Gesellschaft vom Agrarstaat zum Industriestaat, ausgehend von agrarromantischen, großstadtfeindlichen Vorstellungen, ein Konzept entwickelte, welches soziale Harmonie predigte und mit sogenannten Wohlfahrtsmaßnahmen der Auflösung der Agrarverfassung entgegenwirken wollte.

Die Landflucht sollte durch Maßnahmen wie innere Kolonisation, Förderung von Genossenschaften, Rückkehr zum Naturallohn und emotionale Bindung an die Heimat eingedämmt werden, um zugleich das Leben der unteren sozialen Schicht der Landbewohner relativ zur Lebensqualität in den Industriegroßstädten wieder attraktiv zu gestalten. Wichtige Antriebskräfte für Sohnreys Handeln sind tatsächlich, wie vermutet, in seiner frühen Kindheit zu finden: Einerseits wuchs er selbst in überschaubaren dörflichen Verhältnissen auf und andererseits war er der der Sohn eines Barons und einer Magd. So wird verständlich, dass eine die sozialen Disparitäten überwindende Gesellschaft für Sohnrey nur in der dörflichen Heimat zu verwirklichen war.

Übergeordnete, nationale Bedeutung bekamen Sohnreys Ziele aber erst, indem er unter Berufung auf den Sozialanthropologen Otto Ammon und den Statistiker Georg Hansen die Großstädte als Menschenvernichtungsmaschinen zu erkennen glaubte, die zu allem Übel auch noch als Rekrutierungsbasis für die ›Partei des Umsturzes‹, die SPD, fungierten. Für Sohnrey musste so schließlich – bei ungebremstem Zug der Landbewohner in die Städte – der Untergang des deutschen Staates die Folge sein. Insbesondere der ›Verein für Sozialpolitik‹ hatte, beunruhigt durch die Landflucht, vor 1890 Untersuchungen über die Lage der Landwirtschaft und speziell die der Landarbeiter in Auftrag gegeben.

In den Fokus derÖffentlichkeit geriet vor allem die vom Soziologen Max Weber betreute LandarbeiterenquÞte. Weber sah den Grund für die Landflucht aus den vor allem ostelbischen Reichsgebieten in der Auflösung der gemeinsamen Interessenlage von Arbeitgebern und Landarbeitern und in der Vergeldlichung des beiderseitigen Verhältnisses vor dem Hintergrund der immer mehr kapitalistisch denkenden, gezwungenermaßen an Marktverhältnissen sich orientierenden meist adligen Großgrundbesitzer. Weber forderte als nationalpolitische Konsequenze die Ansiedlung deutscher Bauern im Osten des Reiches, um drohender ›Polonisierung‹ zu entgehen. Mit dem Abschluss der großen LandenquÞten war die Aufgabe des ›Vereins für Sozialpolitik‹, seinem Charakter als akademischem Publikationsverein entsprechend, erschöpft. Er forderte damit zum praktischen Handeln auf.