Wirtschaftspsychologie (Enzyklopädie der Psychologie : Themenbereich D : Ser. 3 Bd. 6)

von: Dieter Frey, Lutz von Rosenstiel

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2007

ISBN: 9783840905841 , 954 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 149,99 EUR

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Wirtschaftspsychologie (Enzyklopädie der Psychologie : Themenbereich D : Ser. 3 Bd. 6)


 

6. Kapitel

Steuermoral und Steuerhinterziehung
( S. 203)

Erich Kirchler und Boris Maciejovsky
1 Einleitung
Im Altertum wurden Abgaben zur Deckung des Finanzbedarfs als außerordentliche Leistungen von sozial minder privilegierten Gruppen getragen. Das antike Rom deckte seinen Haushalt vorwiegend durch Tributzahlungen unterworfener Völker sowie durch Kriegsbeute. Im Mittelalter wurden Zölle sowie steuerähnliche Abgaben aufGrundbesitz und Schenkungen eingezogen, und schließlich entwickelten sich im siebzehnten Jahrhundert mit der Herausbildung der Geldwirtschaft in England, Frankreich und später in der übrigenwestlichenWelt komplexe Systeme der Besteuerung.

Dabei hatte die Verpflichtung zur Steuerabfuhr einen hohen moralischen Anspruch, es wurde an die Ehre des Steuerzahlers appelliert. Dies bedeutet, dass jeneMenschen, deren Lebenswandel als unehrenhaft angesehen wurde, zwar von der Steuerverpflichtung ausgenommen, aber auch sozial stigmatisiert wurden.

Gegenwärtig wird die Pflicht, der Steuerabfuhr nachzukommen, jedochweniger als moralischeVerpflichtung aufgefasst, sondern vielmehr als Opfer, das jeder Staatsbürger zumWohle der Gemeinschaft zu erbringen hat. Die Auffassung, dass es sich bei der ordnungsgemäßen Abfuhr von Steuern um ein Opfer handelt, spiegelt sich darin, dass Steuern zu unmittelbaren individuellen Konsequenzen führen, einem reduzierten verfügbaren Einkommen.

Dieser für das Individuum negativen Konsequenz steht ein für die Gesellschaft positiver Effekt gegenüber: Steuern ermöglichen dem Staat eine Vielzahl von staatlichen Leistungen bereitzustellen, die der Allgemeinheit zugute kommen. Steuerpflichtige befinden sich somit in einem sozialen Dilemma. Individuelle Interessen, möglichst geringe steuerliche Belastungen, stehen im Konflikt mit kollektiven Interessen, einem funktionierendenGemeinwesen, zu dem alle Steuerpflichtigen zu gleichen Teilen beitragen.

Steuerentscheidungen als soziales Dilemma zu definieren, resultierte in der Vergangenheit, insbesondere von Seiten der Ökonomie, in Modellen individuellen Steuerverhaltens unter Unsicherheit. Beruhend auf wenigen zentralen Annahmen, wie Rationalität und individuelle Nutzenmaximierung, wurden formale Modelle konstruiert, welche die Entscheidung, Steuern ordnungsgemäß abzuführen oder sie zu hinterziehen, vor allem von exogenen Größen, wie der Kontrolle und Strafe, abhängig machten (siehe etwa Allingham &, Sandmo, 1972).

Zahlreiche empirische Untersuchungen zeigen jedoch auf, dass die alleinige Berücksichtigung exogener Variablen unzureichend ist, um individuelles Steuerverhalten zu erklären. Vielmehr weisen neuere Forschungsergebnisse darauf hin, dass neben monetären Konsequenzen auch intrinsische Faktoren, wie subjektive Wahrnehmung der Steuersituation oder Gerechtigkeitserleben, für die Steuerentscheidung von Belang sind.

In diesem Sinne werden im nächsten Kapitel ökonomische Modelle der Steuerentscheidung diskutiert, während im dritten Kapitel psychologisch relevante Erweiterungen und Ergänzungen des ökonomischen Steuerparadigmas angeführt werden. Das zweite Kapitel beginnt mit einer kurzen Einführung über die Wirkung von Steuern. Daran anschließend wird das ökonomische Standardmodell von zwei Betrachtungsseiten analysiert: Erstens vom Standpunkt des individuellen Steuerpflichtigen (mikroökonomische Analyse) und zweitens aus der Perspektive des Staates und der Gemeinschaft (makroökonomische Analyse).

Schließlich schließt das zweite Kapitel mit einer Diskussion wesentlicher Grenzen des ökonomischen Standardmodells. Im daran anschließenden dritten Kapitel werden empirische Untersuchungen diskutiert, die das ökonomisch fundierte Steuerparadigma um psychologisch relevante Aspekte erweitert.

Zu diesen psychologischen Aspekten zählen Steuermoral und Steuermentalität, wahrgenommene Freiheitseinschränkung und Reaktanz, subjektives Gerechtigkeitserleben sowie individuelle Risikoneigung. Schließlich werden im vierten Kapitel verschiedene empirische Methoden zur Messung der Steuerhinterziehung diskutiert und im abschließenden fünften Kapitel wird ein Resumée gezogen.

2 Die Steuersituation im Kontext des ökonomischen Standardmodells

2.1 Zur Wirkung von Steuern
Eine ökonomisch fundierte Analyse des Steuerverhaltens muss zunächst die Frage klären, wie Steuern wirken.