Immer Montags - Commissario Montalbano jagt einen Tiermörder

von: Andrea Camilleri

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783838752624 , 91 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,99 EUR

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Immer Montags - Commissario Montalbano jagt einen Tiermörder


 

Eins


Die beiden Männer, die sich in dem Bushäuschen untergestellt hatten und geduldig auf den Nachtbus warteten, kannten sich nicht, aber sie grinsten sich an, denn aus einem großen Karton, der umgestülpt in einer Ecke stand, kam so lautes und anhaltendes Schnarchen, dass nicht mal eine Elektrosäge hätte mithalten können. Bestimmt ein armer Schlucker, ein Obdachloser, der hier behelfsmäßig Unterschlupf vor Kälte und Regen gefunden hatte und sich, getröstet durch das bisschen Körperwärme, das der Karton bewahrte, gedacht haben musste, dass ihn alle mal könnten und es am besten wäre, die Augen zu schließen und zu schlafen. Endlich kam der Bus, die beiden Männer stiegen ein, und der Bus fuhr wieder an. Da kam noch jemand angerannt:

»Halt! Stopp!«

Der Fahrer musste ihn bemerkt haben, doch er fuhr weiter. Fluchend sah der Mann auf die Uhr. Der nächste Bus kam erst in einer Stunde, um vier Uhr morgens. Der Mann überlegte eine Weile, fluchte dann herzhaft und beschloss, zu Fuß zu gehen. Er steckte sich eine Zigarette an und machte sich auf den Weg. An der Haltestelle hörte das Schnarchen mit einem Mal auf, der Karton wackelte, und langsam kam der Kopf eines Obdachlosen zum Vorschein, dem ein zerlöcherter alter Hut ins Gesicht hing. Aus seiner Bodenlage heraus drehte der Mann den Kopf hin und her und sah sich aufmerksam um. Er vergewisserte sich, dass keine Menschenseele in der Nähe und in den Fenstern der gegenüberliegenden Häuser nirgends Licht war, und schlüpfte dann unter dem Karton hervor. Er glich einer Schlange bei der Häutung. Als er aufrecht stand, wirkte er gar nicht mehr so armselig: Er war schmächtig, ordentlich rasiert und trug einen verschlissenen, aber gut geschnittenen Anzug. Der Mann griff mit zwei Fingern in seine Jackentasche, zog eine Brille heraus, setzte sie auf, trat aus dem Bushäuschen, wandte sich nach rechts und blieb nach kaum zehn Schritten vor einem Tor stehen, das mit einer Kette und einem großen Vorhängeschloss abgesperrt war. Über dem Tor stand in jetzt erloschenen großen Neonlettern »Ristorante La Sirenetta – Fischspezialitäten aller Art«. Es begann zu regnen. Nicht in Strömen, aber doch so sehr, dass man richtig nass wurde. Der Mann hantierte mit dem Vorhängeschloss, das mehr Schein als Sein war und dem Dietrich keinen rechten Widerstand leistete, öffnete die eine Torseite gerade so weit, dass er durchschlüpfen konnte, schloss sie hinter sich, brachte die Kette wieder an und ließ das Schloss einschnappen. Ein gepflegter Weg führte zum Eingang des Restaurants. Doch der Mann bog auf halber Strecke nach rechts ab und lief auf den Garten zu, der hinter dem Lokal lag und in dem mit Saisonbeginn mindestens dreißig Tische gedeckt waren. Trotz der Dunkelheit bewegte sich der Mann sicher und ohne die Taschenlampe anzuschalten, die er in der Hand hielt. Er war vom Regen schon ganz durchnässt, aber er achtete nicht darauf. Ihm war sogar so heiß wie sonst nicht mal im Sommer, und er hätte am liebsten Jackett, Hemd und Hose ausgezogen und sich nackt in den erfrischenden Regen gestellt. Vielleicht hatte er auch leichtes Fieber.

Das Becken mit den Fischen, der ganze Stolz des Lokals, befand sich hinten links im Garten. Wenn ein Gast es wünschte, konnte er zu dem Becken gehen und sich aussuchen, welchen Fisch er gern essen wollte: Er musste ihn dann selbst mit dem Kescher herausangeln. Das war manchmal nicht einfach, und dann war für großes Gelächter gesorgt, die ganze Tischrunde amüsierte sich königlich, eine Anspielung oder zweideutige Bemerkung gab die andere, vor allem, wenn Frauen dabei waren. Die Heiterkeit verflog erst, wenn die Rechnung präsentiert wurde, denn was die Preise anlangte, war man in diesem Restaurant nicht zimperlich.

Der Mann blieb am Rand des Beckens stehen und flüsterte zornig und zugleich weinerlich etwas vor sich hin. Die Nacht war so stockdunkel, dass er nichts erkennen konnte, nicht einmal, ob das Becken voll oder leer war. Langsam streckte er eine Hand ins Becken und hatte dabei die törichte Angst, ein Fisch, falls noch einer darin war, könnte zuschnappen und ihm einen Finger abbeißen. Das Wasser war eiskalt, und er zog die Hand sofort wieder heraus. Er entschloss sich doch, die Taschenlampe anzuknipsen: Ganz kurz nur, aber es genügte, um das silbrige Glitzern der Fische unter der Wasseroberfläche zu sehen. Im Becken wimmelte es von Fischen, es musste am Abend zuvor gefüllt worden sein. Das – dachte er – erleichtert die ganze Sache, denn er musste praktisch blind mit dem Kescher einen Fisch fangen, und je weniger er die Lampe benutzte, umso besser war es. Jenseits des Gartens und der Straße ragte ein zehnstöckiges Gebäude in die Höhe, es war also gut möglich, dass irgendein Blödmann, der nicht schlafen konnte, zufällig aus dem Fenster sah, den Lichtschein bemerkte und auf die Idee kam, Alarm zu schlagen. Der Mann hatte das Gefühl, schweißgebadet zu sein, und dem war auch so. Er zog das Jackett aus, das ihn sowieso nur behindert hätte, legte es auf einen Plastikstuhl und ließ die Lampe noch mal aufleuchten.

Auf dem Beckenrand lagen drei Kescher; diese idiotischen Gäste veranstalteten manchmal Wettkämpfe, und wer verlor, musste eine Runde ausgeben. Er kniete sich ganz nah an den Rand, nahm einen Kescher, hielt ihn mit beiden Händen fest, ließ ihn ins Wasser gleiten, beschrieb einen weiten Halbkreis und zog ihn wieder heraus. Aus dem Gewicht des Keschers schloss er, dass er nichts erwischt hatte. Aber er wollte sich vergewissern und befühlte ihn. Nur ein paar Tropfen Wasser waren darin. Er versuchte es noch ein paar Mal, immer mit dem gleichen Ergebnis.

Er hockte sich auf die Fersen, todmüde und so schwer atmend, dass er fürchtete, man könnte es bis zu dem verfluchten Haus gegenüber hören. Er durfte nicht zu viel Zeit verlieren, mindestens zehn Minuten bevor der Vier-Uhr-Bus kam, musste er das Restaurant verlassen haben; die Leute in dem Bus schliefen zwar meistens noch halb, aber natürlich konnten sie einen erkennen. Da hatte er eine Idee, die er sehr gut fand. Er hielt den Kescher mit der Linken, ließ ihn ins Wasser gleiten, fuhr rasch in einem Halbkreis herum, doch bevor er ihn zu Ende geführt hatte, schaltete er die Lampe an, die er in der rechten Hand hielt. Das hatte er sich schon gedacht: Eine Unmenge Fische war geflüchtet und hatte sich auf der Seite des Beckens versammelt, die er mit dem Netz nicht erreichte. Also stand er auf, nahm einen zweiten Kescher, balancierte auf dem Rand des Beckens, wartete fünf Minuten, bis sich die Fische beruhigt hatten und wieder ihre Runden zogen. Er hielt sogar den Atem an. Dann handelte er. Während er mit dem ersten Kescher den üblichen Halbkreis beschrieb, stieß er den zweiten ins Wasser und schnitt den flüchtenden Fischen den Weg ab.

Er hatte es geschafft, er spürte, dass mindestens drei Fische ins Netz gegangen waren. Der Mann warf den leeren Kescher weg, stieg vom Beckenrand herunter, legte den Kescher mit den Fischen auf den Boden und schaltete die Lampe an. Da lag eine große Meeräsche. Er lächelte, setzte sich auf den Beckenrand und wartete, bis die Fische ihr aussichtsloses Ringen mit dem Tod beendet hatten. Als er sicher war, dass sie sich nicht mehr rührten, warf er die beiden Fische, die er nicht gebrauchen konnte, weil sie zu klein waren, zurück ins Wasser, legte die Meeräsche auf den Beckenrand, zog eine Pistole aus der Gesäßtasche, steckte den Schalldämpfer auf, klemmte sich die eingeschaltete Taschenlampe zwischen die Zähne, hielt den Fisch mit einer Hand fest und schoss mit der anderen; dabei hielt er die Waffe senkrecht, damit der Schuss den Fisch nicht köpfte, sondern ihm den Kopf zerschmetterte. Er schaltete die Lampe wieder aus und blieb reglos stehen, weil es ihm vorkam, als hätte der Knall trotz Schalldämpfer ganz Vigàta aufgeweckt. Doch nichts geschah, kein Fenster ging auf, niemand fragte, was denn passiert sei.

Der Mann kramte in der Hosentasche, holte einen Zettel heraus, den er schon vorher geschrieben hatte, und legte ihn unter den erschossenen Fisch.

Der Vier-Uhr-Bus ließ lange auf sich warten, er kam mit zehn Minuten Verspätung.

Als er losfuhr, saß unter den verschlafenen Fahrgästen auch der Mann, der gerade eine Meeräsche ermordet hatte.

»Dottore, kennen Sie das Restaurant La Sirenetta in der Nähe des Pirandello-Denkmals?«, fragte Fazio, als er an diesem Montagmorgen, dem 22. September, das Büro von Commissario Montalbano betrat.

Der Commissario war gut gelaunt. Tags zuvor war es kalt gewesen und es hatte geregnet, doch am Morgen war eine Sonne wie im August aufgegangen, und zum Ausgleich wehte ein leichter, kühlender Wind. Bei genauerem Hinsehen schien auch Fazio keine trüben Gedanken zu haben.

»Klar kenne ich den Laden. Aber man braucht sich nichts drauf einzubilden, wenn man ihn kennt. Ich war mal mit Livia da, um ihn auszuprobieren, und das hat mir vollauf gereicht. Ein Mordsgetue und nichts dahinter. Elegante Kellner, Service diskret und tadellos, luxuriöses Besteck, Rechnung zum Herzinfarktkriegen, aber was das Essen angeht – also die Hauptsache –, das schmeckt, als läge der Koch im Dauerkoma.«

»Ich hab nie dort gegessen.«

»Ist auch besser so. Wie kommst du darauf?«

»Heute Morgen hat Signor Ennicello, der Wirt übrigens ein entfernter Verwandter meiner Frau , hier bei mir angerufen und eine so seltsame Geschichte erzählt, dass ich neugierig geworden bin. Sie wissen doch, dass das Lokal ein Becken mit lebenden Fischen hat, die …«

»Ja, sicher. Erzähl weiter. Was ist passiert?«

»Heute Nacht hat jemand das Vorhängeschloss am Tor geöffnet, ist reingegangen, hat einen Fisch...